Rede zur Gesundheitsminister*innen-konferenz vom 30.09.2020

Aus Sicht einer Krankenpflegerin in einem Akutkrankenhaus:
Es tut mir leid!
Es tut mir unheimlich leid, dass ich heute so ungeduldig mit Ihnen war!
Es tut mir leid, dass ich Sie so abgefertigt habe, obwohl ich gemerkt habe, Sie brauchen mich noch.
Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass die OP heute schon wieder ausfällt.
Ich verstehe!
Ich verstehe, dass sich meine Kollegin wieder krank gemeldet hat.
Ich verstehe, dass die zuständige Ärztin vergessen hat, die Anordnung, die sie mir am Telefon gegeben hat, dann noch schriftlich zu dokumentieren.
Ich verstehe, dass mein Kollege fast nichts zu den Patient*innen, die ich von ihm übernommen habe, dokumentiert hat, um nicht noch später zu Hause zu sein.

ABER ES MACHT MICH WÜTEND!

Es macht mich wütend, dass ich keine Zeit habe, meinen Beruf so auszuüben, wie ich ihn gelernt habe. Nämlich für die Patient*innen, ganzheitlich, gemeinsam einen individuellen Plan zu erstellen, wie er oder sie gepflegt werden möchte.

Es macht mich wütend, dass meine Leistung nicht angemessen honoriert wird, geschweige denn gesehen wird.

Es macht mich wütend, noch nicht einmal in der Dokumentation abbilden zu können, was ich leiste, weil ich auch dafür keine Zeit habe. Ich habe also noch nicht einmal einen Beweis für meine getane Arbeit.

Es macht mich wütend und traurig, zu sehen, dass Kolleg*innen ihren Anspruch an ihre Arbeit und den Berufsethos runterschrauben … aus Selbstschutz und ich weiß, dass das System sie dazu treibt!

Es macht mich wütend zu wissen, dass Krankenhäuser immer Dreibettzimmer haben werden, damit sie die Wahlleistung Zweibett- oder Einbettzimmer abrechnen können, um Cash zu machen. Dabei wird völlig missachtet, dass es natürlich allen Patientinnen wichtig ist, den geeigneten Raum zum Gesunden zu haben. Und auch die Covid-Pandemie zeigt deutlich: Unsere Räumlichkeiten sind nicht dafür gemacht, dass wir Patientinnen gut isolieren können. Das Problem ist, dass die Bundesländer bei weitem nicht die Investitionskosten zahlen, die sie zahlen müssen.

Es macht mich wütend, dass nicht noch mehr wütend genug sind!
Es müssten noch viel mehr Menschen hier stehen!
Die einzigen, die ich hier nicht vermisse, sind diejenigen, die mit dem Geschäft mit Gesundheit und Pflegebedürftigkeit über Aktien Geld verdienen. Das wundert mich nicht.
Aber alle anderen müssten nach ihren Möglichkeit laut sein und aufbegehren und hier heute bei uns stehen!

Denn Fallpauschalen und Privatisierung sind keine Grundlage für ein Gesundheitssystem!

Private Anbieter im Gesundheits- und Pflegesystem sind profitorientiert.
D.h. sie sparen bei Ausgaben, z.B. bei Personal oder indem sie Teilbereiche auslagern.
Das müssen wir uns einmal vor Augen führen: Es schlagen andere Profite daraus, Abstriche bei der Versorgung von pflegebedürftigen, kranken Menschen zu machen!

Ein Krankenhaus ist ein komplexer Haufen von vielen Fachbereichen und Versorgungseinheiten, die in einander greifen. Wenn Krankenhäuser aufgrund des wirtschaftlichen Drucks ständig den Rotstift schwingen müssen, dann beeinflusst das selten nur den einen Teilbereich. Ein Bsp. wenn der Bettendienst, der die Betten frisch bezieht und den Bettplatz sauer macht, unterbesetzt ist, kommt es zu Verzögerungen bei den Neuaufnahmen und Übernahmen von Patientinnen. Möglicherweise muss die Intensiv schnell jemanden verlegen, um Platz für eine Not-OP zu haben. Gibt es zu wenig Personal im Reinigungsdienst verzögert sich alles, die Übergabe wird unter noch größeren Zeitdruck gemacht und die Gefahr, dass dabei wichtige Informationen untergehen, ist deutlich erhöht. Mir fallen zahlreiche solcher Beispiele dazu ein: Funktioniert der Laptop oder PC nicht, kann die Pflegende/ der Pflegende nicht zeitnah dokumentieren und verliert wertvolle Zeit, wieder ist das Risiko für Fehler erhöht! Also: auch Reinigung und EDV wirkt sich auf die Qualität der Versorgung der Patientinnen aus!
Ein Krankenhaus – eine Belegschaft. Das Gesundheitssystem ist nicht der Bereich in dem spart werden darf! Da fallen mir andere Bereiche ein, die im Haushaltsplan gerne hinten an gestellt werden dürfen.

Fallpauschalen verursachen einen wirtschaftlichen Druck auf Krankenhäuser, der letztendlich auch dazu führt, dass Krankheitsbilder in lukrativere und weniger lukrative Krankheiten unterteilt werden können!
Wie sich das schon anhört! Aber ja, so ist es: Bestimmte Fälle kann man unkompliziert abrechnen, bei anderen zahlt das Krankenhaus drauf, weil die entstandenen Kosten nicht über das Fallpauschalensystem abgedeckt sind. Dreimal dürfen Sie raten, welches Behandlungsspektrum eine Klinik unter privater Führung anbietet… . Ist das eine Versorgung die am Bedarf der Bevölkerung ausgerichtet ist?! Wohl eher nicht!

Pflege bringt kein Geld ein. Zumindest im Fallpauschalensystem werden Pflegende als Kostenfaktor gehandelt. Aktuell versucht man dem entgegen zu wirken durch eine Pflegezulage pro angestellter Pflegefachkraft. An dieser Stelle muss ich betonen: Das haben die Pflegekräfte mit ihren Unterstützerinnen im beharrlichen Streit erkämpft und das ist ein echter Meilenstein. Wir erreichen etwas, wir haben Erfolg, aber wir müssen weiter dran bleiben. Denn: Ändert sich nicht grundlegend etwas an der Vermarktung unserer Gesundheit, wird sich auch nichts daran ändern, dass in der Pflege eine extrem hohe Fluktuation ist. Kaum mehr als die Hälfte der Pflegenden können sich vorstellen bis zur Rente in ihrem Beruf zu bleiben! Pflege und auch Medizin basiert auf Erfahrungswissen. D.h. verlassen ständig erfahrene Pflegende ihre Stationen, fehlt ein Teil der Qualitätssicherung. Eine hohe Fluktuation verursacht eine Gefährdung der Patientinnensicherheit!

Die Patient*innensicherheit ist auch gefährdet, wenn Ärzte und Ärztinnen nicht ausreichend eingearbeitet werden können oder wenn sie überarbeitet sind, nach einer chaotischen Nacht noch eine Visite am Morgen machen sollen.

Sparen im Gesundheitssystem geschieht immer zum Leidwesen der Patientinnen. Deswegen fordern wir die Gesundheitsministerinnen auf:
Ein bedarfsorientiertes Gesundheitssystem!
Ein neues Finanzierungssystem zu entwickeln, indem die anfallenden Kosten gedeckt werden. Fallpauschalen abschaffen!
Auf Landesebene den Investitionsstau lösen!
Genügend, qualifiziertes Personal, das angemessen entlohnt wird!
Niemanden dabei auf der Strecke lassen: Ein Krankenhaus – eine Belegschaft!
Es muss mehr in Prävention und Gesunderhaltung investiert werden, denn unser Ziel muss sein: die Bevölkerung gesund zu halten und nicht Therapien und Eingriffe zu verkaufen!